Künstliche Intelligenz ist das Trendthema der Stunde. Aber warum reden gerade alle über Machine Learning? Wieso ist KI das nächste große Ding für Industrie und Wirtschaft?

Im Gespräch mit Oliver Kramer, Professor für Computational Intelligence an der Uni Oldenburg, erfahren wir, was tatsächlich hinter diesem Hype steckt. Wie sprechen über den technologischen Fortschritt in Deutschland und der Welt, die Rolle des Menschen und moralische Faktoren. Natürlich wollen wir auch wissen, was dran ist an Endzeitszenarien, die einige schon jetzt vorhersagen. Stehen die Roboter schon in den Startlöchern, um sich gegen uns Menschen aufzulehnen?

 

Hallo Oliver, vielen Dank, dass du dir Zeit für das Interview genommen hast. Vielleicht kannst du dich zunächst einfach mal vorstellen?

Ja gern. Ich bin Oliver Kramer und habe die Professur für Computation Intelligence an der Uni in Oldenburg und bin gleichzeitig Direktor des Departements für Informatik. Ich bin jetzt 40 Jahre alt und startete sechs Jahre zuvor mit einer Juniorprofessur mit derselben inhaltlichen Ausrichtung. Ich mich mit dem, was man allgemein unter AI, also Artificial Intelligence, versteht. Das heißt: Neuronale Netze, Machine Learning und Optimierung mit genetischen Algorithmen – gerade letzteres ist so ein bisschen die Spezialisierung im weiten Feld der AI.

Wir haben eine Menge Anwendungsfelder in Oldenburg, z.B. in Energie, Gesundheit und autonomen Fahren. Ich betreue dort eine kleine Gruppe von fünf Doktoranden, die mit mir gemeinsam forschen.

Das ganze Thema ist ja gerade ein absoluter Hype und erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Vor allem auch in der Wirtschaft und nicht nur in der Forschung – was uns natürlich sehr freut.

 

Gibt es denn viele Leute in dem Bereich?

Mittlerweile wird die Community immer größer, weil die Bedeutung des Themas zunimmt. Aber die Forschungscommunity war schon immer sehr, sehr groß. Man kann sagen, jede Informatik Fakultät hatte so ein bis zwei Personen, die sich damit beschäftigt haben und jetzt aktuell sieht man, dass sogar noch mehr Bedarf besteht.

Es gibt ja diverse Digitalisierungsstrategien. Hamburg hat z.B. so eine und Niedersachen entwickelt jetzt aktuell auch eine neue Digitalisierungsstrategie. Da wird es einige neue Professoren geben, gerade in den Bereichen Big Data, Data Science, Machine Learning, Deep Learning – das sind alles letztendlich überlappende Bereiche.

 

Einfach gesprochen, was ist Künstliche Intelligenz denn überhaupt?

Eigentlich ist das ein Paradigma, dass sich von den normalen Ansätzen Informatik anzugehen unterschiedet. Normal ist nämlich, dass man ein Problem hat und das Problem als Programmierer in kleine Teilprobleme zerlegt und löst. AI geht den Weg, dass man Beispiele von fertigen Lösungen vorgibt und  daraus lernt wie unbekannte Probleme gelöst werden. Außerdem kann man der Maschine die Möglichkeit geben, selbstständig auch auf neue Lösungen zu kommen.

„In der Informatik hat man ein Problem und zerlegt das Problem in kleine Teilprobleme, die man als Programmierer löst. Eine AI lernt die Lösung aus Beispielen und kann auf neue Lösungen kommen.“

Das Ganze funktioniert durch ein klassisches Setting, das man als Supervised Learning, also überwachtes Lernen, kennt. Dabei hat man eine Trainingsmenge in der man der Maschine zeigt, wie sie die Lösung auszusehen hat. Bei Maschinen funktionieren dabei im Moment die neuronalen Netze am besten. Diese haben die Aufgaben aus den Daten, die sie vorgelegt bekommen, zu lernen und damit das Problem zu lösen.

 

Wie weit ist denn der technologische Fortschritt in diesem Bereich aktuell?

Es gibt verschiedene Stufen von Fortschritten, die man unterteilen kann. Überwachtes Lernen bzw. Supervised Learning ist der Bereich, der aktuell am erfolgreichsten in der Industrie eingesetzt wird. Ich würde sagen, etwa 90 Prozent der AI, mit der im Moment da draußen Geld verdient wird, ist im Bereich Supervised Learning anzusiedeln.

„Überwachtes Lernen ist der Bereich, der aktuell am erfolgreichsten in der Industrie eingesetzt wird. Etwa 90 Prozent der AI, mit der im Moment Geld verdient wird, ist im Bereich Supervised Learning anzusiedeln.“

Es gibt aber noch weitere Stufen. Also beim Supervised Learning zeigt man der Maschine Beispiele in Form von Daten und sie lernt daraus, eine Lösung zu konstruieren. Sie kann dann aber auch Generalisieren und Interpolieren, d.h. bei neuen Aufgaben eine vernünftige Lösung anbieten. Dass die Maschine selber über Sachen nachdenkt und selber zu Lösungsvorschlägen kommt, das ist dann die nächste oder vielleicht schon die übernächste Stufe.

Wenn wir der Reihe nach gehen, kommt als nächstes die Stufe Transfer Learning. Hier hat man aus einem bestimmten Bereich Daten, z.B. Daten über Gesichtserkennung und wendet diese in einem vollkommen neuen Bereich an, beispielsweise in der medizinischen Bildverarbeitung (z.B. in der Tumorfrüherkennung). Man nimmt also die vorhandenen Netze aus der Gesichtserkennung und geht mit nur kleineren Anpassungen in eine neue Domäne.

Dann gibt es noch die Stufe des Reforcement Learning, also dass man aus Belohnung lernt. Und das geht so ein bisschen in die Richtung, dass eine Maschine wirklich selbstständig durch ein Belohnungs- oder Bestrafungssystem über Dinge nachdenken kann. Solch eine Maschine könnte dann eine tatsächliche Intelligenz hervorbringen. Davon sind wir aber noch ein bisschen entfernt.

„Alles was ein normaler Mensch mit normalen kognitiven Fähigkeiten in einer Sekunde lösen könnte, das können aktuell auch Maschinen lösen.“ Oliver Kramer Klick um zu Tweeten

Aktuell sind wir eher auf der Stufe, um aus der AI-Forschung zu zitieren: Alles was ein normaler Mensch mit normalen kognitiven Fähigkeiten in einer Sekunde lösen könnte, dass können aktuell auch Maschinen lösen. Z.B. das Erkennen von Bildern: „Was sehe ich darauf?“, „Handelt es sich um eine Gefahrensituation?“, „Ist das, was ich vor mir sehe ein Auto?“, „Muss ich rechts abbiegen oder muss ich links abbiegen?“, „Ist auf dem medizinischen Bild ein Tumor zu erkennen oder nicht?“ – das sind alles Dinge, die Experten und/oder normale Menschen in einer Sekunde verarbeiten können und genau die Dinge, die Maschinen heute schon kognitiven Leistungen hervorbringen können.

Damit kann man schon eine ganze Menge von Problemen lösen. Und das ist auch der Grund warum das gerade so abgeht in der Industrie… und in der Forschung.

 

Was denkst du, da du gerade schon von Entwicklungsstufen gesprochen hast, wie sich unser Leben in den nächsten 50 Jahren verändern wird? Oder wird sich wohlmöglich gar nicht so viel verändern, wie wir „befürchten“?

Firmen werden sich stark verändern, da man mit Daten schon heute komplett neue Geschäftsfelder erobern kann. Also Daten sind eigentlich das neue Gold. Daher wird sich schon in den nächsten Jahren eine Menge tun.

„Firmen werden sich stark verändern, da man mit Daten schon heute komplett neue Geschäftsfelder erobern kann. Daten sind das neue Gold.“ Oliver Kramer Klick um zu Tweeten

Das ist vergleichbar mit der Revolution, die es durch das Internet gab. Dort haben sich auch ganz neue Geschäftsfelder aufgetan. Firmen, die vorher Retailer waren, haben nicht bloß einen Webshop aufgesetzt, sondern haben sich auch von der Struktur verändert. Man schaue sich z.B. Amazon an, die jetzt ein ganz neues Geschäftsmodell (neben dem klassischen Onlinehandel) aufgezogen haben. Und sowas wird durch Daten und AI auch passieren.

Und in 50 Jahren? Da werden uns die Maschinen noch deutlich stärker im Alltag begleiten und unser Leben hoffentlich vereinfachen.

 

Man liest leider nicht nur davon, dass Maschinen unser Leben vereinfachen werden, sondern immer wieder auch von möglichen Gefahren und dem „Ende“ der Menschheit in Zusammenhang mit KI. Was hältst du von solchen Endzeitszenarien?

Ich hoffe erstmal, dass die guten Seiten der AI zum Tragen kommen, z.B. das meine Ernährungsgewohnheiten optimiert werden. Oder das Krankheiten frühzeitig erkannt werden, d.h. dass man Risiken im Genom Krankheiten zu entwickeln frühzeitig entdecken kann. Oder das mein Auto sicherer wird, weil ich beim Fahren begleitet werde oder dass ich vielleicht sogar komplett autonom fahre. Das sind Visionen, die sich vielleicht nicht jeder sofort als Optimum vorstellt. Aber wenn ein Kind oder ein Reh vor das Auto hüpft, dann können Autos automisch bremsen – AI for Good sozusagen. Darunter kann ich mir noch eine ganze Menge Potenzial vorstellen.

Das es hinterher wirklich zu diesen ganzen Bedrohungen durch AI kommt, dass ist ein Szenario von dem wir erstmal noch ein ganzes Stück entfernt sind.

„Das es hinterher wirklich zu diesen ganzen Bedrohungen durch AI kommt, dass ist ein Szenario von dem wir erstmal noch ein ganzes Stück entfernt sind.“

Aber natürlich gibt es auch moralische Bestrebungen, auch in der Forschung, moralische Aspekte in der AI zu untersuchen. Denn der Hauptfaktor ist eigentlich im Moment der Mensch und die Frage „Wofür setzt der Mensch die AI ein?“. Wenn der Mensch die AI einsetzt, um die sexuelle Orientierung oder die politische Richtung zu bestimmen, dann sind das schon Dinge, die eine moralische Tragweite haben. Letztendlich produziert sie aber der Mensch. Was in den Daten auch immer zu finden ist, Daten sind erstmal neutral während sie gesammelt werden. Und sonst ist es der Mensch der damit etwas Gutes oder Schlechtes tut. Die AI selbst ist da noch nicht „evil“, sondern der Mensch, der das als Tool einsetzt.

„Was in den Daten auch immer zu finden ist, Daten sind erstmal neutral während sie gesammelt werden. Und sonst ist es der Mensch der damit etwas Gutes oder Schlechtes tut.“

Das wir uns jedoch plötzlich in einem Terminator-Szenario befinden in der sich die AI selbstständig weiterentwickelt und gegen die Menschheit kämpft, dass halte ich für eine sehr gewagtes Szenario und eigentlich auch für unrealistisch.

 

Trotzdem ist es so, dass sich führende Köpfe (allen voran Elon Musk oder Bill Gates) gemeinsam mit dem Thema auseinandersetzen und auch ethische Fragen diskutieren (z.B. in Foren oder Organisationen wie OpenAI). Sind Fragen der Moral die größten Sorgen/ größten Herausforderungen denen wir begegnen müssen?

Ja genau. Da geht es um Fragen, wie diese: Wie bringt man einer Maschine Moral bei? Wie schafft man es den Programmierer für solche Fragestellungen zu sensibilisieren? Wie schafft man Awareness dafür, dass Moral eine große Rolle spielt, dass man mit den Daten sensibel und verantwortungsvoll umgehen muss?

Ich denke insgesamt ist die beste Methode, um zu gewährleisten, dass AI auch wirklich für gute Zwecke eingesetzt wird, ist, dass man AI zum Allgemeingut macht. Man muss AI öffentlich machen; auch die Algorithmen sollten für Forscher, Entwickler & Co. öffentlich sein. Aber auch insgesamt muss man AI zum Allgemeingut werden lassen und den normalen Bürger informieren, was überhaupt möglich ist und was eigentlich algorithmisch dahinter steckt.

„Die beste Methode, damit AI auch wirklich für gute Zwecke eingesetzt wird, ist, dass man AI zum Allgemeingut macht.“ Oliver Kramer Klick um zu Tweeten

Was ist ein neuronales Netz? Das könnte man eigentlich schon in der Grundschule oder zumindest in der weiterführenden Schule lernen. Das sollte einfach zu den Grundlagen gehören, damit man darüber auch den öffentlichen Diskurs führen kann und man nicht den Eindruck hat, dass es irgendwelche verrückten Wissenschaftler sind, die in ihrem Elfenbeinturm sitzen und sich etwas zusammen hacken, das am Ende die Menschheit bedroht.

„Was ist ein neuronales Netz? Das könnte man eigentlich schon in der Grundschule oder zumindest in der weiterführenden Schule lernen.“

 

So ist es ja jetzt aktuell ein bisschen. Zumindest vermute ich, dass viele das Gefühl haben, da sitzt eine Handvoll kluger Wissenschaftler und die entwickeln da jetzt irgendwas…

Wobei solche Plattformen und Organisationen, wie OpenAI, schon genau in diese Richtung gehen. Und auch allgemeinere Foren und Magazine, wie Spiegel Online, versuchen ja immer stärker solche Themen in den Fokus zu rücken. Die Medien greifen immer wieder aktuelle Themen und Fragestellungen auf und bringen diese in die Gesellschaft ein. Ich denke, das ist ein ganz wichtiger Prozess.

Dass solche Themen auch in der Gesellschaft ankommen, merke ich immer wieder, auch weil Leute mich darauf ansprechen und sagen: „Hey! Du machst doch was in dem Bereich, ich hab’ da mal ’ne Frage. Wie sieht das eigentlich aus? Wie funktioniert das eigentlich?“. Es scheint mehr ins öffentliche Bewusstsein zu kommen, dadurch dass es auch öfter in den Medien präsentiert wird.

Natürlich gibt es berühmte Wissenschaftler oder berühmte Persönlichkeiten, wie Putin oder Elon Musk, die sich teilweise auch mit sehr skeptischen Aussagen bezüglich AI an die Öffentlichkeit wenden. Der dritte Weltkrieg würde durch AI entschieden oder ähnliches (Anmerkung der Redaktion: Ein Zitat von Putin). Das sind natürlich alles gewagte Thesen. Das gehört aber alles in die Kategorie: Was macht der Mensch mit diesen Daten? Also wofür benutzt er die AI und was zieht er daraus für einen Nutzen? Letztendlich sind es eben Menschen, die damit Dinge tun.

 

Welche Rolle spielt denn Deutschland als Forschungs- und Entwicklungsstandort im Bereich AI und Deep Learning?

Das ist eine gute Frage! Also die USA, bzw. das Silicon Valley, sind auch hier Vorreiter mit Firmen, wie Google, Facebook, UBER und wie sie alle heißen. Die schaffen ein tolles Umfeld, auch für Forscher. Die stellen nicht bloß ein kreatives Arbeitsumfeld zur Verfügung, sondern zahlen auch hohe Gehälter und werben explizit Leute ab. Teilweise ziehen sie die guten Leute direkt von den Universitäten ab. Daher passiert dort so viel im Silicon Valley.

Deutschland hat in dem Bereich eine Menge Potenzial. Wir haben ein super Bildungssystem und tolle Informatikfakultäten. Auch die aktuellen Bestrebungen zeigen, dass die Politik erkannt hat, dass Digitalisierung ein wichtiges Thema ist. Ich denke, wir haben den Anschluss noch nicht verpasst und wir müssen den Anschluss auch nicht verpassen. Wir sind ein Land mit einem hohen Bildungsstandard und der Zugang zu Wissen ist öffentlich und war nie so einfach wie heute.

„Deutschland hat in dem Bereich eine Menge Potenzial. Wir haben ein super Bildungssystem und tolle Informatikfakultäten.“

Es ist nicht so, dass Google, Facebook & Co. nichts veröffentlichen und offenlegen. Tatsächlich veröffentlichen die teilweise sogar ihre Algorithmen oder wir (Forscher) entwickeln gemeinsam mit den Firmen.

Ich selbst fahre nächste Woche wieder nach Berkeley und bin dann in der San Francisco Bay, im Silicon Valley. Dort schaue ich mir an, was aktuell passiert oder was meine Kollegen so machen. Und das tolle ist, die Leute dort kochen auch nur mit Wasser. Das sind Menschen, wie du und ich sozusagen. Die sind alle natürlich begabt, aber letztlich sind das auch ganz normale Menschen mit Stärken und Schwächen. Das sind auch nicht nur totale Überflieger. Da kann man durchaus in Deutschland noch mitreden.

„Die Leute im Silicon Valley kochen auch nur mit Wasser. Das sind Menschen, wie du und ich sozusagen.“

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