Wie arbeitet eigentlich ein dezentrales Team? Wie arbeitet man produktiv zusammen an einem Projekt, wenn man nicht am selben Ort ist? Und Hand aufs Herz, was sind die Schattenseiten jenseits von Flexibilität und der Freiheit von überall aus arbeiten zu können? Mit dem Team von TimeBro sprechen wir über all dies. Die Mitarbeiter arbeiten größtenteils Remote – und das hat nicht nur Vorteile.
Als Team arbeitet ihr größtenteils dezentral. Wie kam es dazu und was sind eurer Meinung nach die größten Vorteile von Remote Work?
Mislav: Wir haben angefangen mit einem Büro im Inkubator der Hochschule München und des SCE. Als die Förderung auslief, hatten wir zwar genügend Umsatz für ein eigenes Büro, aber zunächst andere Prioritäten. Also haben wir es einfach mal mit dem Home Office versucht. Das kannten wir ja noch aus der Zeit, als timeBro noch ein Sonntagsprojekt neben dem Beruf war. Wir waren positiv überrascht von den Folgen.
Niclas: Viele Vorteile kennt jeder Arbeitnehmer, der schon mal zu Hause gearbeitet hat: Wegfall von Wegzeiten, flexibler sein bei der privaten Planung und sicher auch niedrigere Kosten für Essen und Verkehrsmittel. Ein Riesenvorteil für die Firma sind natürlich die wegfallenden Bürokosten und der bessere Zugang zu Talenten: unsere Werkstudenten sitzen in Maastricht, die Entwickler in Kroatien und der Slowakei. Der wichtigste Faktor ist aber ein anderer…
„Viele Vorteile kennt jeder Arbeitnehmer, der schon mal zu Hause gearbeitet hat: Wegfall von Wegzeiten, flexibler sein bei der privaten Planung und sicher auch niedrigere Kosten für Essen und Verkehrsmittel.“
Basti: Wir sehen in unserem Tool timeBro, dass wir mehr Tasks in wesentlich kürzerer Zeit schaffen. Das liegt sicher einerseits daran, dass man durch die Flexibilität sehr motiviert wird. Aber hauptsächlich liegt es am unterbrechungsfreien Arbeiten. Im klassischen, hippen Start-up mit Großraumbüro und offener Kommunikation hat man trotz Kopfhörer permanente Unterbrechungen durch Kollegen, die einen antippen – oder durch Gespräche, denen man ungewollt zuhört.
Arne: Absolut. Unterbrechungen sind die Leistungsbremse schlechthin. Das predigen wir ja auch immer in Bezug auf timeBro. Wer seine Arbeit ständig unterbricht, um Zeiten zu erfassen, anstatt das am Ende des Tages zu tun, der kann seine Produktivität in die Tonne treten.
Vielleicht könnt ihr beispielhaft euren Arbeitsalltag skizzieren? Wie unterscheidet sich dezentrale Arbeit vom klassischen Modell? Arbeitet man trotzdem 8 Stunden am Stück oder nutzt man die Flexibilität tatsächlich aus?
Klaus: Der wesentliche Unterschied ist, dass niemand „Arbeit spielen“ muss. Ich habe in den letzten 20 Jahren immer wieder mal Mitarbeiter gehabt, die ihre Zeit an manchen Tagen abgesessen haben. Damit ist niemandem geholfen. Im dezentralen Modell liegt der Fokus noch viel stärker auf Ergebnissen. Das heißt, abseits von Terminen arbeite ich dann, wenn ich konzentriert bin und Lust dazu habe. Das schließt das Wochenende und die ein oder andere Nachtschicht natürlich mit ein.
„Abseits von Terminen arbeite ich dann, wenn ich konzentriert bin und Lust dazu habe.“
Mislav: Vor dem Einschlafen gucke ich in den Kalender und stelle mich auf den Arbeitstag ein. Habe ich in der Früh keine Termine, nutze ich den Vormittag gerne für Erledigungen oder um mich um meine kleine Tochter zu kümmern. Wichtig ist in diesen Fällen natürlich permanente Erreichbarkeit im Fall von Supportanfragen oder Teamkommunikation. Die Geschäftszeiten der Kunden muss man schon im Auge behalten. Meine produktivsten Arbeitsstunden sind meist am späten Abend, denn da stört mich niemand. Letztlich arbeitet man insgesamt mehr, aber hat dafür die volle Freiheit und Kontrolle. Es reicht oft zu wissen: Der Arbeitstag kann immer sofort enden, wenn ich das mal will.
„Meine produktivsten Arbeitsstunden sind meist am späten Abend, denn da stört mich niemand.“
Arne: Ich bin da anders und trenne klarer zwischen Beruf und Freizeit. Ich stehe um 5:30 Uhr auf, gehe zum Sport und arbeite – wenn keine Deadline ansteht – von 9:00 bis 20:00 Uhr. Das wird nur unterbrochen durch Kochen und Kaffeepausen. Ich hatte nie Probleme mehrere Stunden am Stück zu arbeiten. Dafür gehört der Abend dann mir – und den nutze ich jeden Tag um rauszugehen, Freunde zu treffen oder mich um mich selbst zu kümmern.
Es gibt sicherlich auch Schattenseiten, wenn selten alle Mitarbeiter an einem zentralen Ort versammelt sind. Welches sind die größten Herausforderungen auf die ihr bislang gestoßen seid?
Basti: Nicht am gleichen Ort zu sein, hat ebenso viele Schattenseiten, wie am gleichen Ort zu sein. Im Endeffekt läuft alles auf Kommunikation hinaus. So fällt zum Beispiel bei Remote Work ein beträchtlicher Teil davon weg – wie z.B. Mimik, Gestik, Körpersprache und letztlich das direkte „auf jemandem zugehen“ und eine unmittelbare Reaktion bekommen. Stattdessen wird digital und asynchron kommuniziert. Wir sehen darin fast nur Vorteile, aber vielleicht ist das auch eine Generationenfrage. Mir persönlich ist gute Dokumentation am wichtigsten. Wenn ich etwas nicht weiß und gerade alle beschäftigt sind, muss ich einen zentralen Ort haben, an dem ich meine Antworten finden kann.
Nicht am gleichen Ort zu sein, hat ebenso viele Schattenseiten, wie am gleichen Ort zu sein. Klick um zu Tweeten
Arne: Wichtig ist, dass man viel kommuniziert und Tools für Chats und Videokonferenzen verwendet – und immer so schnell wie möglich antwortet. Termine müssen unbedingt eingehalten werden, denn Absagen demotivieren andere Teammitglieder. Außerdem ist essentiell, dass die für das Taskmanagement verwendeten Tools sehr diszipliniert genutzt und gepflegt werden.
Klaus: Nachdem ich es jahrelang so gewohnt war, habe ich den persönlichen Austausch anfangs schon vermisst. Gerade um gemeinsam über unausgegorene Ideen nachzudenken, eignen sich Videokonferenzen nur bedingt. Auf der anderen Seite ist positiv, dass so jedes Teammitglied mehr gezwungen ist sich zu fragen: „Brauche ich dazu wirklich Feedback? Ist das nicht schon dokumentiert? Oder finde ich die Information vielleicht mit ein paar Klicks bei Google?“.
„Nachdem ich es jahrelang so gewohnt war, habe ich den persönlichen Austausch anfangs schon vermisst.“
Als Unternehmen mit einem klassischen Arbeitsmodell wird man sich vermutlich nicht von heute auf morgen dazu entscheiden komplett auf ein Remote-Modell umzusteigen. Dazu müssen die Prozesse angepasst und die passenden Tools aufgesetzt werden. Welche Tools könnt ihr aus eigener Erfahrung empfehlen?
Basti: Viele Firmen haben schon lange alle nötigen Prozesse adaptiert, um Remote Work anzubieten. Wo ist der Unterschied zwischen fünf Kollegen im Meeting-Raum plus zwei Kollegen zugeschaltet per Skype – und sieben Kollegen in Skype? Ich glaube, die Prozesse sind oft weniger das Problem als das Vertrauen. Alle Tools der Welt bringen nichts, wenn die Firma nicht glaubt, dass ein Remote Worker nicht mindestens die gleiche Leistung bringt wie ein ständig abgelenkter und oft unterbrochener Kollege vor Ort.
„Ich glaube, die Prozesse sind oft weniger das Problem als das Vertrauen.“
Niclas: Das stimmt absolut. Aber was vielen noch fehlt, ist ein Tool für das Task Management. Dort werden Aufgaben verteilt, terminiert, besprochen und abgehakt. Das bedeutet gute Selbststrukturierung und weniger Chats oder Meetings. Wir nutzen dafür schon seit 3 Jahren Asana. Eine gute Alternative ist Trello – für Entwickler ist auch JIRA sehr attraktiv. Der große Vorteil dieser Tools: Die Kommunikation ist asynchron, bleibt immer aufgabengebunden und ist wieder auffindbar.
Arne: Wenn jemand etwas möchte, fängt er meistens kein Gespräch in Slack an, sondern gibt dem anderen einfach eine Aufgabe in Asana. Vieles kann nämlich warten – auch wenn man das selbst nicht immer einsieht. Slack nutzen wir nur für dringende Themen, zu denen wir sofort Feedback brauchen. Für Abstimmungen per Video nutzen wir im Team Zoom. Mit Kunden nehmen wir dafür join.me, denn das muss niemand installieren. In Sachen Support können wir Teamviewer und Zendesk empfehlen.
Welche Erfahrungen könnt ihr generell an all diejenigen weitergeben, die auch remote arbeiten wollen?
Niclas: Kultur nicht vernachlässigen. Tools und Prozesse reichen nicht für ein funktionierendes Team. Es müssen sich wirklich alle gut verstehen und behandeln. Das bedeutet, die größere Auswahl beim Recruiting zu nutzen, um einen stärkeren Fokus auf die Persönlichkeit zu legen. Und regelmäßige Events sind wichtig. Wir treffen uns z.B. alle paar Wochen abends zum Essen & Trinken. Besonders Letzteres hat noch den wenigsten Teams geschadet. Falls man zu weit entfernt sitzt: Auch Online-Gaming bringt Menschen sehr stark zusammen.
„Regelmäßige Events sind wichtig. Wir treffen uns z.B. alle paar Wochen abends zum Essen & Trinken.“
Arne: Noch ein ganz anderer Tipp, der zunächst banal klingen mag: Man sollte morgens immer zur gleichen Zeit aufstehen, gleich unter die Dusche steigen und sich was Vernünftiges anziehen. Sonst kommt man schnell in einen „Gammelmodus“, der sich negativ auf das Selbstwertgefühl und die Produktivität auswirkt.
Gerade bei kleineren Unternehmen, wie z.B. Agenturen, lässt sich das Modell Remote Work relativ einfach umsetzen. Könntet ihr euch vorstellen, dass kleine Unternehmen irgendwann gar keine Büros mehr haben?
Klaus: Wahrscheinlich ist das nicht mal eine Frage von klein oder groß. Mitarbeiter fallen auch in sehr kleinen Teams meistens in zwei Kategorien: Wer besser unter Anwesenheit von Kollegen arbeitet oder Aufsicht braucht, den macht ein gemeinsames Büro besser. Wer sehr selbstständig ist und gerne ungestört arbeitet, erreicht mehr im Home Office. Ich halte es für sinnvoll, eine Bürofläche für ca. 50% der Mitarbeiter anzubieten. Microsoft hat da z.B. ein ähnliches Konzept in München.
Mislav: Gar keine Büros kann ich mir persönlich nicht vorstellen. Man muss Mitarbeitern wahrscheinlich die Möglichkeit geben, in heißen Projektphasen auch mal zusammen an einem Ort zu arbeiten. Ein Büro, das man monatlich bezieht, ist dafür aber sicher nicht nötig.
Basti: Wie wäre es damit: Die Zukunft sind Büros auf Abruf. Oder kleinere Büros.